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Sonntag, 20. Juli 2014

Auf dem Weg - falls es einen gibt

Sie spürte den Regen unter ihren Füßen, er tanzte in kleinen Tropfen um sie herum, fast so als wolle er sie begrüßen. Doch sie würde nicht bleiben können. Sie rieb sich ihre Arme und wartete. Der Regen war kühler als gedacht und sie hatte nur ein dünnes Kleid an, das fest an ihrem Körper klebte. 

Irgendwo spielte jemand Klavier. Es klang wie „Hey Jude“ - doch sie war sich nicht sicher.


Ihre Haare waren zerzaust und der Versuch sie zu bändigen, endete damit die Locken irgendwie feststecken zu wollen. Nervös trat sie von einem Fuß an auf den anderen. Flo wollte sie abholen. Ganz sicher. Er hatte es versprochen. Er hatte es sanft in ihre Hand geschrieben, den Zeitpunkt. Wann er bereit sein würde. Sie hatte geschluckt und einen Kloß im Hals gespürt. Zukünftig würden sie sich nur selten sehen, weil sie auf Entdeckungsreise gehen würde. Sie musste. Sie wollte. Streifen durch Länder, so wie die Streifen ihren Charakter durchzogen. Wild und kreuz und quer.


Der Regen hörte langsam auf, er trommelte im Takt des Klavierstückes vor sich hin. Sie fuhr sich durch die Haare und wartete. Dabei fiel ihr auf, wie sehr sie eigentlich das Leben liebte. Die letzten Wochen war sie öfters gereizt gewesen und hatte Flo heftig angefahren. Obwohl er sich kaum rührte, wusste sie wie hart sie ihn getroffen hatte. Und sowieso war sie öfters unglaublich launisch. 


Das würde sich jetzt aber ändern. 


Sie zögerte, machte dann ein paar wackelige Schritte und bliebt mitten auf der verlassenen Straße stehen. Ganz ohne Schuhe fühlte sie sich dem Boden mehr verbunden als je zuvor. Sie blickte auf die vielen Schlaglöcher auf dem Boden und trat vor eine Pfütze. Sie sah ihre grauen Augen, ihre Locken und ihre Verzweiflung. Wütend sprang sie in die Pfütze, um das, was sie gesehen hatte aus ihrem Kopf zu löschen - doch das Bild hatte sich eingebrannt. 

Trotzig verschränkte sie die Arme.

Sie trug die Befürchtung lange im Herzen: Dass bei ihr etwas zerbrochen sei. Dass sie einfach länger brauchte um zu heilen. Selbst Flo hatte sie nicht aus ihrer Situation befreien können - wie auch? Wenn der Sturm in ihrem Inneren wühlte und rein gar nichts mit ihm zu tun hatte. Die zarten Bande, die sie mit ihm geknüpft hatte, waren jäh gerissen. Kreuz und quer waren ihre Gefühle im Chaos geendet. Sie hatte dann nur noch schwarz und weiß gesehen. Anstelle zu bleiben, war sie gegangen. Wie sonst auch. Nur ihr Herz hatte sie dort gelassen.


Ihre gemeinsame Zukunft. 


Daran hatte sie gedacht und wie es wäre sich ihm zu öffnen. Doch sie konnte nicht. Sie hatte es nicht geschafft über ihren Schatten zu springen und ihm endlich zu sagen, was sie so lange bereits quälte. Sie wollte ihn nicht belasten, hatte Angst, dass er die vielen Dinge in ihr nicht verstand. 


Zu lange war sie schon geblieben und hatte es zugelassen.
Sie fühlte sich schlecht. „Nicht mal die Kette hab ich behalten“ dachte sie reumütig. Das Geschenk von Flo war ihr einfach zu eng am Hals gelegen. Zu nah am Herzen.


Sie blickte sich um, weil sie ein Geräusch vernahm.
Doch nichts.
Keine Spur einer Bewegung.


Denn er kam nicht.



Ein unerträglicher Schmerz wand sich um ihren Körper und jeder Zentimeter tat weh. „Es ist ihm wohl zuviel geworden. Das mit mir“ murmelte sie laut und zeichnete mit ihrem nackten Zeh Kreise ins Wasser der Pfütze. Sie fühlte sich schutzlos. Alleine.


Dann fing sie an zu laufen.

Erst kleine Schritte, dann tänzelte sie unruhig wie ein Pferd, das zu lange im Stall eingesperrt war. Bis sie schließlich die Straße entlang rannte... Sie rannte, flüchtete beinahe. Bis ihre Brust schmerzte, ihr Atem schnell ging und sie Seitenstechen bekam.

Der See.
Sie war angekommen.
Die Sonne hatte sich durch die Wolken gekämpft und spiegelte sich im Wasser. Unzählige Farben strahlten ihr entgegen, die sich miteinander vermischten und dann den Himmel zierten. Der Regen hatte beinahe aufgehört, er berührte sanft die Oberfläche des Sees.


Am Ufer blickte Judy noch einmal zurück. Was für ein schöner Tag, um leben zu dürfen. Das Wasser umspielte ihre Knöchel. „Hey Jude, So let it out and let it in. begin. You’re waiting for someone to perform with. And don't you know that it's just you“


Langsam ließ sie sich ins Wasser treiben.
Ein letztes Mal noch atmen. 

Dann.
Schwerelosigkeit. 

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